Im Schatten der dominierenden westeuropäischen Kunstmärkte schaffen sich osteuropäischen Akteur*innen ihre eigene, unverwechselbare künstlerische Identität, die von einer komplexen Geschichte und einer aufkommenden Marktdynamik geprägt ist. Jennifer Braun, auch bekannt als The Gen Z Art Critic, befragte vier Galerieleiter*innen aus der Region – Anca Poterașu (Galerie Anca Poterasu, Rumänien), Zuzana Dankova (COMMA Gallery, Slowakei), Monika Dropek (MAD Art Gallery, Polen) und Fruzsina Kigyós (acb Gallery, Ungarn) – zu den Herausforderungen und Chancen, die sich aus der Tätigkeit in diesen aufstrebenden Kunstszenen ergeben.
Ausstellungsansicht: Silvia Krivošíková - Turn On The Lights. COMMA Gallery
Galerie Anca Poterasu (Rumänien): Der Kunstmarkt in Rumänien entwickelt sich, bleibt aber aufgrund wirtschaftlicher und geopolitischer Herausforderungen fragil. Die aktuelle Situation – abgesagte Wahlen, das Erstarken der extremen Rechten und die Nähe zum Krieg in der Ukraine – sorgt für zusätzliche Unsicherheit. Im Mai finden Wahlen statt, ein kritischer Moment für unser Land. Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es ein wachsendes Interesse an einheimischen Künstler*innen, und unabhängige Galerien und Initiativen spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Kunstszene. Allerdings ist die Finanzierung nach wie vor uneinheitlich, und es gibt nur relativ wenige Sammler*innen. Viele Künstler*innen sind auf internationale Möglichkeiten angewiesen, um Sichtbarkeit und finanzielle Unterstützung zu erlangen.
COMMA Gallery (Slowakei): Der Kunstmarkt in unserer Region ist noch sehr klein, entwickelt sich aber langsam. Wir haben das Glück, seriöse Sammler*innen um uns herum zu haben, stehen aber vor Herausforderungen bei der öffentlichen Kunsterziehung und -aufklärung. Nach dem Sturz des Regimes im Jahr 1989 wurde die meiste Kunst direkt von den Ateliers verkauft und Galerien völlig umgangen. Wir arbeiten immer noch daran, diese Einstellung zu ändern und den Menschen die Bedeutung der Galerien für die Gestaltung des Marktes und des kulturellen Dialogs zu vermitteln.
acb Gallery (Ungarn): Der Kunstmarkt in Mittel- und Osteuropa gewinnt zunehmend an internationaler Anerkennung, nachdem er traditionell im Schatten der westeuropäischen Kunstzentren stand. Große Institutionen wie die Tate Modern, das MoMA und der Palais de Tokyo richten jetzt Ausstellungen für Künstler*innen aus Mittel- und Osteuropa aus. Es besteht ein immenses Wachstumspotenzial, da die lokalen Sammler*innen ihren Geschmack verfeinern und international bekannt werden. Der digitale Wandel macht es den Künstler*innen und Galerien aus den MOEs leichter, mit einem globalen Publikum in Kontakt zu treten, auch wenn es weiterhin eine Herausforderung ist, nachhaltige Sichtbarkeit und institutionelle Unterstützung zu gewährleisten.
MAD Art Gallery (Polen): Im Vergleich zu Westeuropa befindet sich der polnische Kunstmarkt noch in der Entwicklung. Während der Westen über eine hoch entwickelte Infrastruktur mit dominierenden Zentren in Brüssel, London, Paris und Berlin verfügt, sind die wichtigsten Zentren in Polen Warschau, Krakau und Posen. Westeuropa verfügt über ein starkes Netz von Auktionshäusern und renommierten Galerien mit erheblicher institutioneller und privater Unterstützung, während in Polen weniger private Mittel zur Unterstützung von Künstler*innen zur Verfügung stehen, obwohl es eine wachsende Zahl von Sammler*innen gibt. Das Hauptinteresse der polnischen Sammler*innen gilt der „modernen“ Kunst, wobei das Interesse an zeitgenössischen polnischen Künstler*innen zunimmt.
Ausstellungsansicht: CEMRA "Fragile" MAD Art Gallery, Poznań/Poland
Galerie Anca Poterasu:
Die rumänische Kunst wurde stark von der Avantgarde der Zwischenkriegszeit beeinflusst. Persönlichkeiten wie Tristan Tzara (ein wichtiger Begründer des Dadaismus), Victor Brauner und Eugène Ionesco (der mit dem Surrealismus in Verbindung gebracht wird) verbanden Rumänien mit den europäischen Strömungen der Moderne. Künstler wie Constantin Brâncuși, der die moderne Bildhauerei in Paris revolutionierte, blieben ein wichtiger Einfluss. Später, während des Kommunismus, wurde der sozialistische Realismus als offizieller Kunststil durchgesetzt, was experimentelle Ansätze einschränkte. Dennoch gab es Künstler*innen, die sich gegen das System stellten und eine Underground-Kunstszene schufen. Nach der Revolution von 1989 erlangten viele zeitgenössische rumänische Künstler*innen mit der neu gewonnenen Bewegungsfreiheit internationale Anerkennung und stellten in renommierten Museen und auf großen Biennalen aus. Diese international bekannten Künstler*innen trugen dazu bei, die Aufmerksamkeit auf Rumänien zu lenken, die neue Generation zu inspirieren und zu ermutigen und gleichzeitig den Blick auf unser Land zu lenken. Eine wichtige Gruppe in der Zeit nach der Revolution war SubREAL, gegründet von Călin Dan, Iosif Király und Dan Mihălţianu. In den 1990er Jahren kommentierten sie mit Ironie und Subversion die politischen und sozialen Veränderungen in Rumänien.
COMMA Gallery: Bratislava und die umliegende Region wurden durch das mitteleuropäische Erbe und die lokale Identität geprägt. Martin Benka war ein Begründer der slowakischen Moderne, der nationale Themen mit modernistischen Einflüssen verband. Später im 20. Jahrhundert entstanden experimentellere und konzeptionellere Tendenzen mit Künstlern wie Juraj Bartusz, die die Grenzen der Bildhauerei und der Performance verschoben und den osteuropäischen Kontext mit internationalen Avantgardebewegungen verbanden.
acb Gallery: Die zeitgenössische Kunstszene Ungarns wurde stark von den Bewegungen der institutionellen und systemkritischen Konzeptkunst beeinflusst, die in den späten 1960er Jahren als Herausforderung des staatlich verordneten sozialistischen Realismus entstanden. Künstler*innen wie Dóra Maurer, Miklós Erdély und Tamás Szentjóby experimentierten mit konzeptuellen Ansätzen und nutzten subtilen Widerstand, um die Zensur zu umgehen. Die Reihe Bookmarks, ein gemeinsames Projekt von acb, Kisterem und Vintage Galéria, hat entscheidend dazu beigetragen, die ungarische Kunst der Neo-Avantgarde im internationalen kunsthistorischen Kanon neu zu positionieren.
MAD Art Gallery: Alle großen Bewegungen wie Barock und Renaissance haben polnische Künstler*innen beeinflusst. Poznań und Wielkopolska erlebten verschiedener Kunststile, von gotischer Architektur bis zur zeitgenössischen Straßenkunst. Die Region hat nicht nur westliche Trends aufgegriffen, sondern auch innovative Ideen in die polnische Kultur eingebracht. Die Geschichte Polens, einschließlich der 123 Jahre währenden Teilung unter drei verschiedenen Staaten und später der Auswirkungen des Kommunismus, hat den künstlerischen Ausdruck stark beeinflusst. Künstler*innen mussten oft kreative Wege finden, um sich auszudrücken und gleichzeitig die Zensur zu umgehen, und wurden so zu Stimmen mit versteckten, systemkritischen Botschaften.
Agnes Denes: Isometric Systems in Isotropic Space – Map Projections: the Egg (the Americas), 2014, archival inkjet print on rag paper, 44 x 40.30 cm, courtesy of the artist, Leslie Tonkonow Artworks + Projects, New York and acb Gallery, Budapest
Iulian Bisericaru: Here Was a Lake 2, 2025, mix media on wood | 30 x 30 cm, courtesy the artist and Galerie Anca Poterasu, Foto: Albert Secu
Galerie Anca Poterasu: Zeitgenössischen Künstler*innen in Rumänien mangelt es an Infrastruktur – Museen, Institutionen – und stabiler finanzieller Unterstützung. Öffentliche Mittel sind begrenzt und unvorhersehbar, und die Zahl der lokalen Sammler*innen ist gering. Es gibt einige rumänische Künstler*innen, die mit internationalen Galerien zusammenarbeiten und durch Aufenthalte, Biennalen und Kooperationen mit der internationalen Kunstwelt verbunden sind, was ihnen eine gewisse Sichtbarkeit und finanzielle Stabilität bietet. Unabhängige Räume und von Künstler*innen geführte Initiativen spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der künstlerischen Produktion. Die Szene ist zwar lebendig und dynamisch, aber finanzielle Unsicherheit und begrenzte institutionelle Unterstützung sind nach wie vor wichtige Hindernisse.
COMMA Gallery: Zeitgenössische Künstler*innen sind mit schwierigen Bedingungen konfrontiert, da nicht genügend Galerien ihre Karrieren aktiv und langfristig unterstützen. Viele Künstler*innen bewegen sich unabhängig in der Szene und sind auf alternative Räume oder internationale Residenzen angewiesen. Es fehlt eine klare lokale Tradition, die bei den jüngeren Generationen Anklang findet, die nach neuen Ausdrucksformen suchen, die ihre persönlichen oder globalen Erfahrungen widerspiegeln. Trotz dieser Herausforderungen haben sich einige Künstler*innen international einen guten Ruf erworben.
acb Gallery: Aus unserer Sicht bewegen sich zeitgenössische Künstler*innen in Ungarn – und in der gesamten CEE-Region – in einer Landschaft voller Chancen und Unsicherheiten. Internationale Institutionen zeigen zunehmend Interesse an Künstler*innen aus der Region, was dazu beiträgt, die Sichtbarkeit zu erhöhen und die Wahrnehmung zu verändern. Gleichzeitig arbeiten die Künstler*innen in Budapest oft in einer fragilen Finanzierungsstruktur, in der die öffentlichen Mittel begrenzt sind und die politische Dynamik den Zugang zu Ressourcen beeinflussen kann. Trotz dieses Drucks bleibt die Szene erstaunlich widerstandsfähig und voller kreativer Energie.
MAD Art Gallery: Poznań und die Region Wielkopolska bieten ein dynamisches, aber anspruchsvolles Umfeld. Es gibt starke Institutionen und unabhängige Initiativen, aber die Künstler*innen sind mit wirtschaftlichen Einschränkungen und einem kleinen Kreis von Sammler*innen konfrontiert. Im Gegensatz zu Warschau oder Krakau gibt es in Poznań einen relativ kleinen Kunstmarkt und nur wenige private Galerien. Viele Künstler*innen sind auf wettbewerbsfähige Stipendien des Kulturministeriums, der lokalen Regierung oder der EU-Kulturprogramme angewiesen. Die Stadt ist bekannt für ihren Schwerpunkt auf experimenteller Kunst, insbesondere die Poznań School of Animation, aber viele Künstler*innen müssen Lehrtätigkeiten annehmen oder im Designbereich arbeiten, um ihre Praxis aufrechtzuerhalten.
Ausstellungsansicht: Iulian Bisericaru, Galerie Anca Poterasu
Galerie Anca Poterasu: Ich habe einige einheimische Sammler, die die Galerie unterstützen, aber die meisten aktiven Sammler kommen aus dem Ausland, vor allem aus Westeuropa und den USA. Der lokale Markt ist noch klein, nimmt aber allmählich zu. Die internationale Präsenz ist für die meisten rumänischen Künstler nach wie vor von entscheidender Bedeutung, da sie sowohl Anerkennung als auch finanzielle Stabilität bietet.
COMMA Gallery: Derzeit sind etwa 95 % unserer Sammler einheimisch. Wir sind tief in unserem heimischen Umfeld verwurzelt und sehen dies sowohl als Herausforderung als auch als Chance. Die Verbindung zur lokalen Gemeinschaft ist stark, und unser Ziel ist es, dieses Vertrauen weiter auszubauen und uns gleichzeitig schrittweise einem internationalen Publikum zu öffnen.
acb Gallery: Unser Sammler*innenstamm spiegelt eine Mischung aus lokalem Interesse und wachsender internationaler Anerkennung wider. Während sich viele ungarische Sammler*innen nach wie vor für moderne oder klassische Kunst interessieren, haben wir festgestellt, dass sich eine neue Generation stärker für zeitgenössische Kunst interessiert. Auch internationale Sammler*innen haben begonnen, mittel- und osteuropäischen Künstler*innen mehr Aufmerksamkeit zu schenken – vor allem, weil Institutionen wie die Tate Modern und das MoMA sie in große Ausstellungen und Sammlungen aufnehmen. Dieses breitere Interesse ist eine wichtige Bestätigung für die Region und öffnet unseren Künstler*innen Türen im Ausland.
MAD Art Gallery: Die MAD Art Gallery hat eine Mischung aus lokalen und internationalen Kunstsammler*innen. Die Mehrheit der aktiven Sammler*innen, die polnische Künstler*innen unterstützen, sind einheimisch. Da wir jedoch Teil einer größeren Organisation sind, die internationale Künstler*innen präsentiert, haben wir auch internationale Sammler*innen. Die Nachfrage nach polnischer Kunst im Ausland steigt, was zu mehr Anfragen von internationalen Sammler*innen führt.
Ausstellungsansicht: Lőrinc Borsos: Neo Inertia, 2024, acb Gallery
Galerie Anca Poterasu: Obwohl ich keine gesättigten Märkte aus erster Hand erlebt habe, bietet Rumänien ein Umfeld, in dem Künstler*innen ohne übermäßigen kommerziellen Druck experimentieren können, was sowohl den Künstler*innen als auch der Kreativität zugute kommt. Es gibt auch ein wachsendes Interesse an aufstrebenden Künstler*innen aus Osteuropa. Das relative Fehlen starrer institutioneller Strukturen begünstigt eine flexiblere und dynamischere, enthusiastische Kunstszene. Allerdings wird Bukarest zu einer immer teureren Stadt – die früher niedrigeren Kosten sind nicht mehr der Fall. Außerdem konkurrieren wir auf internationalen Kunstmessen mit Galerien aus fortgeschritteneren Märkten. Ich sehe im Moment eher Nachteile. Allerdings habe ich noch nie in einer kunstmarkttechnisch gesättigten Stadt gelebt und gearbeitet, daher sind dies nur Vermutungen.
COMMA Gallery: Bratislava bietet ein weniger gesättigtes Umfeld mit weniger Künstler*innen, weniger Galerien und daher auch weniger Wettbewerb. Dies ermöglicht engere und persönlichere Beziehungen zwischen Galerien und Sammler*innen. Die Szene mag klein sein, aber sie ist sehr reaktionsschnell und bietet Raum für echte Zusammenarbeit und Dialog.
acb Gallery: Die Kunstszene in Budapest ist kleiner und weniger gesättigt als in Städten wie Berlin, London oder Paris, was Raum für Experimente und die Realisierung neuer künstlerischer Initiativen schafft. Galerien und Künstler*innen können hier leichter direkte Beziehungen zueinander sowie zu Publikum und Sammler*innen aufbauen. Dies ermöglicht einen persönlicheren und direkteren Dialog – etwas, das auf größeren, stärker strukturierten Märkten oft schwieriger zu erreichen ist. Gleichzeitig stellen die begrenzte Marktgröße und die begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten eine ständige Herausforderung dar. Nichtsdestotrotz sorgen die kulturelle Vielfalt und die Offenheit der Budapester Kunstszene dafür, dass die Szene frisch und ansprechend bleibt. Ein solches Umfeld kann oft inspirierender sein als die übersättigten Märkte größerer Städte, wo der Wettbewerb hart ist und die Betriebskosten erheblich höher sind.
MAD Art Gallery: Die MAD Art Gallery in Poznań ist ein internationaler Zweig der Uitstalling Art Gallery aus Genk, Belgien. Diese Zusammenarbeit ermöglicht den künstlerischen Austausch zwischen Polen und Belgien und bereichert die lokale Kunstszene mit neuen Perspektiven. Die Nähe zu den Kunsthochschulen vor Ort bietet Einblicke in die neuesten Trends und Richtungen und gibt uns die Möglichkeit, die Entwicklung der Künstler*innen zu beobachten und die interessantesten einem breiteren Publikum in Polen und im Ausland zu präsentieren.