Wer sind die Menschen, die über die Art Düsseldorf schlendern? Vermutlich eint sie alle das Interesse an der Kunst, aber unter ihnen sind außer Sammlerinnen und Journalisten auch Künstlerinnen und Studierende, Historikerinnen und Leiter großer Museen oder Galerien. Ebenso unterschiedlich wie die Ansprüche, die sie an die Kunst stellen, ist auch ihr Geschmack. Idealerweise sind also die Werke, die dem Publikum einer Kunstmesse präsentiert werden, gleichermaßen vielseitig.
Nach dem großen Erfolg des Skulpturenprogramms 2023 und 2024 zeigt die Art Düsseldorf auch dieses Jahr eine große Bandbreite an Skulpturen und Installationen. Die insgesamt 18 Positionen reichen von aufstrebenden Talenten bis hin zu etablierten Künstler:innen, sind dabei aber deutlich jünger, weiblicher und diverser als je zuvor. Diese Entwicklung spiegelt auch das stetig wachsende Publikum wider.
TEXT: Julia Meyer-Brehm
Laura Schawelka: Stand, Stand, Stand, 2024 je1,97x0,71x0,50m, fiebach, minninger.
Als roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung, Materialität und gesellschaftlichen Konstruktionen durch die Auswahl. Die Skulpturenplätze bilden überraschende Inseln, die den gewohnten Parcours der Galerien durchbrechen, Raum für Pausen und eine Möglichkeit der Auseinandersetzung bieten.
Zum Beispiel mit den Wirkmechanismen einer Messe: Laura Schawelka beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Weise Wert entsteht. Für ihre Arbeit „Stand, Stand, Stand” (2024) nutzt sie verschiedene Display-Modi und deren Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu lenken. Die drei Aufsteller erinnern in ihrer Anordnung an die reduzierte Ästhetik eines „Showrooms“, den Händler:innen traditionell nutzen, um Waren zu präsentieren. Allerdings tragen die bei näherem Hinsehen als Kleiderstangen identifizierbaren Displays keine klassischen Konsumgüter, sondern auf Plexiglas gedruckte Fotografien. Diese werden somit selbst zur Ware. Die dreiteilige Arbeit verdeutlicht die Parallelitäten von Präsentationstechniken in Museen und im kommerziellen Bereich.
Eine Arbeit, die sich mit räumlicher Kontrolle und Zugangsbeschränkungen auseinandersetzt, ist Emil Waldes Skulptur „Gatekeeper“ (2025). Ein Gatekeeper ist jemand oder etwas, das den Zugang zu Informationen, Ressourcen oder Entscheidungen kontrolliert. Waldes Aluminiumsystem lenkt nicht nur den Blick, sondern auch die Laufrichtung der Besuchenden. Ursprünglich wird eine solche Konstruktion zur Sicherung von Gelände verwendet. Der Künstler hat das Material mit Leuchtstoffröhren ausgestattet und somit zweckentfremdet. Durch das grelle Licht zieht die Skulptur provokant die Aufmerksamkeit auf sich und positioniert sich selbstsicher in einem Umfeld, in dem „Gatekeeper“ traditionell zuhause sind: der Kunstmesse.
Edith Dekyndt: Specific Subjects, 2024 5,3x4,5m, Konrad Fischer Galerie.
Wie ein gigantischer Theatervorhang teilt Edith Dekyndts Skulptur „Specific Subjects“ (2024) den Raum. Das Werk wirkt jedoch keinesfalls schwer oder massiv, sondern durchscheinend und als Teil seiner ganz eigenen Inszenierung. Die Künstlerin arbeitet mit Alltagsmaterialien und deren unvollendeten, offenen Zuständen. Hier hat sie ein Baumwolltuch in Wein und Weintrub getränkt. Der Effekt der Kapillarwirkung ist deutlich sichtbar: Der Stoff hat die Flüssigkeit teilweise aufgenommen und färbt sich an den besagten Stellen blutrot. Dadurch erhält das Werk auch eine unheilvolle Komponente. Eingetaucht, aufgehängt, schwebend – Dekyndt konzentriert sich auf den Begriff des Prozesses. Das non finito, das Unfertige, ist eine Schlüsselkomponente in ihrer Arbeit.
Aber auch andere Künstler:innen beschäftigen sich mit Materialtransformation. Toni Schmale etwa inszeniert in ihrer Arbeit „schlauch #6“ (2023) Stahl, der typischerweise in der Schwer- und Rüstungsindustrie oder im Automobil- und Maschinenbau verwendet wird, und im Wesentlichen Härte und Widerstandskraft ausstrahlt. Hier erscheint er jedoch als vermeintlich weiches, flexibles Material. Die unerwartete Knautschbarkeit der Skulptur lässt Zweifel an ihrer materiellen Beschaffenheit aufkommen. Ihre Oberfläche legt sich an den Biege- und Knickstellen in Falten, als hätte sie eine menschliche Haut. Wie ein Stoff liegen die Enden des Schlauches locker übereinander. „schlauch #6“ zeigt, dass jedes noch so harte Material einen Schmelzpunkt hat, zerbrechlich und weich erscheinen kann.
Janine Eggert: Rear Bumper Expressionism, 2024 je 1,4x1,5x1m
Ausgangspunkt für Janine Eggerts „Rear Bumper Expressionism“ (2024) war ein Aufenthalt in Los Angeles. Ihre bunten, stromlinienförmigen Werke erinnern an protzige Karren oder blinkende Autoscooter. In den USA sind die Stoßstangen („rear bumper“) oft besonders auffällig gestaltet, vor allem durch Bumper Stickers, die als Ausdruck von Meinungen, Humor oder Zugehörigkeit dienen. Eggerts Skulpturen und Installationen verbinden die klare, industrielle Formensprache der seriellen Produktion mit der Einzigartigkeit handgefertigter Werke. Die Serie ist eine bewusste Anspielung auf die Ästhetik teurer Autos und hinterfragt gleichsam deren Rolle als Prestigeobjekt und Luxusaccessoire.
Stephan Marienfelds Skulptur „TWIST“ (2024) spielt gekonnt mit Licht, Schatten und Bewegung, sodass sich ihre Form stetig zu verändern scheint. Mag sie aus der einen Perspektive wie ein vornübergebeugter Mensch wirken, sieht sie aus einer anderen Blickrichtung schon wieder ganz anders aus. Das Werk entlarvt unser Bestreben, in abstrakten Formen etwas Konkretes erkennen zu können. Marienfeld kreiert mit Präzision eine Illusion von Bewegung, die dazu einlädt, die Skulpturen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erkunden und ihre Komplexität zu entdecken. Dabei überträgt sich die Dynamik der Formen mit Leichtigkeit auf die Betrachtenden – etwa, wenn man in die Hocke geht, um einen Blick aus der Froschperspektive zu erhalten.
Einen ungewohnten Anblick bietet Nicole Wermers Markisenskulptur „Vertical Awning“ (2016). Sie ist Teil einer Serie sogenannter „adaptierter Readymades“, aufgerollten Markisen, die mit maßgeschneiderten Stoffen und Ständern gestaltet wurden und auf der Seite stehen. Die Arbeit impliziert, wie weiche Materialien, insbesondere Textilien, den öffentlichen Raum unterteilen, aneignen, privatisieren, beschatten, domestizieren oder schützen. Da die Markise vollständig aufgerollt und kompakt als vertikale, säulenartige Form ausgestellt wird, wirkt sie jedoch keinesfalls einnehmend. Vielleicht sind auch ihre materiellen Eigenschaften, nämlich ihre Flexibilität, der Grund dafür, dass man die Skulptur als unbedrohlich wahrnimmt. Die Arbeit verdeutlicht, wie Räume und deren Besitzansprüche ständig neu definiert werden.
Takako Saiko: You and Me Shop, 1994 330x390x150cm. boa-basedonart
Eine weitere Markise findet man in ganz anderer Konstellation einige Meter weiter. Mit dem „You and Me Shop“ (1994) integriert Takako Saito das Publikum in ihren künstlerischen Prozess. Das kleine Geschäft erinnert an einen Kaufmannsladen und ist eine gelungene Abwechslung auf einer oft passiv erscheinenden Kunstmesse. Saito bricht mit traditionellen Grenzen und kultiviert auf diese Weisen einen experimentellen Charakter. Der Shop umfasst neben den performativen Materialien eine Vielzahl von Editionen und Objekten der Künstlerin.
Emma Adler: HOLISTIC PARANOIA (SHRN/WRSP), 2023 ca.1,3x1,3x2,8m, Galerie Anton Janizewski.
Emma Adler kritisiert in „HOLISTIC PARANOIA (SHRN/WRSP)“ (2023) die Verknüpfung von Frauenhass und rechten Ideologien. Die Skulptur besteht aus einem schwarzen Urinal mit Pissrinnen und kleinen abgetrennten Kabinen. Das schwarze Gebilde scheint nahezu zu schweben, wie ein anbetungswürdiger Schrein oder Altar. Als Metapher für einschüchternde, männlich geprägte Strukturen, zeigt die Arbeit auf, wie Frauen systematisch unterdrückt werden – eine Taktik, die sich durch Religionen und Verschwörungstheorien zieht. Besonders rassistische und homophobe Ideologien beruhen auf einem Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Die schreienden Köpfe ihrer Anführer hat Adler in ihrer totemartigen Skulptur verarbeitet.
Stefan Strumbel hinterfragt mit „Fuchs“ (2024) den Heimat-Begriff sowie nationale Konnotationen. Das Werk basiert auf einer Geschichte, in der ein alter Fuchs seinen Verstand verliert. Der Fuchs, eigentlich ein listiges Raubtier, findet sich aufgrund seines Alters nicht mehr in seinem alltäglichen Leben zurecht und ist auf die Hilfe von seinen ehemaligen Feinden und Beutetieren angewiesen. Er findet Halt, Geborgenheit und Schutz in der Gemeinschaft. Strumbel setzt sich in seiner Skulptur mit dem Begriff „Heimat“ auseinander. Statt einer idealisierten, romantischen oder nationalistischen Vorstellung von Heimat als Ort der Geborgenheit zeigt er ein buntes, humorvolles und vielfältiges Bild. Damit stellt er die Idee infrage, dass Heimat nur eine einheitliche, heile Welt sein kann.
Apropos bunt: Farbenfrohes Gefieder hält Claus Richters Skulptur „Peacock Party” (2015) bereit. Auf schwarzen Gestellen hockt eine Reihe von Vögeln, darunter lockt eine einladende Sitzbank. Richter spielt mit dem dringenden Bedürfnis, sich kurz auszuruhen und die Beine baumeln zu lassen. Gleichzeitig werden die Besuchenden unter dem wachsamen Bild der Vögel selbst zu Beobachteten – wer kann länger starren? Richter verknüpft in seiner Arbeit öffentlichen und privaten Raum und reizt die Besuchenden mit einer Parallelwelt, in der Natur und Ruhe mit dem wuseligen Treiben einer Kunstmesse kontrastieren. Ein wenig erinnert die farbenfrohe Inszenierung an ein unbelebtes Bühnenbild, das man lediglich sehnsuchtsvoll umkreisen, nicht aber benutzen darf.
In der Arbeit Chimäre von Jorinde Voigt verbinden sich zwei Formen, die in einer Abfolge von seriellen Hand Zeichnungen benachbart sind.Die eine Form ist in amerikanischem Walnussholz massiv gefertigt, die Schwesterform liegt als Edelstahl Spiegel horizontal unterhalb der Figur, an der Stelle, an der normalerweise der Schatten zu vermuten ist. Gleichzeitig bildet sie die Halterung für die vertikal aufgerichtete HolzFigur. Die Skulptur entwirft einen oszillierenden Ort, an dem das Thema des Schattens ( das im dunklen liegenden), der Reflexionen, des lebendigen, des aufgerichteten und liegenden zu einer philosophischen Matrix verschmilzt. Der tatsächliche Schatten begleitet die Figur zusätzlich. Da die 2 Formen im Entstehungsprozess benachbart sind, ist die jeweilige Form auch wie der vorherige oder folgende Zustand der anderen zu lesen.
Einen klaren Bezug zum menschlichen Körper zeigen auch die „Bahamas Chairs“ (2023) von Katja Tönissen. Wie in den meisten ihrer Werke spielt die Künstlerin mit Geschlecht und Symbolik – hier geht sie Weiblichkeit und Sehnsucht auf den Grund. Die „Bahamas Chairs“ changieren zwischen Objekt und Körper, zwischen Intimität und Funktionalität. Ihre Sitzflächen erinnern an Badezimmerfliesen, Räume der Reinigung und der Verletzlichkeit. Gleichzeitig sind anatomische Spuren wie Brustwarzen und Rundungen ganz klare Hinweise auf die menschliche Form. Die Arbeit stellt die Frage, wann ein Objekt zu einem Körper wird und wann ein Körper Architektur ist. Mit Humor nähert sich Tönissen den Themen Stereotypen und Geschlechterrollen.
Mille Kalsmose: Cosmic Relations, 2017 3x3m, THK Gallery.
Mille Kalsmose widmet sich mit ihrer Installation „Cosmic Relations“ (2017) dem Thema Identität aus einer kosmischen Perspektive. Eine Reihe Figuren sind in drei verschiedenen Formationen über gebogenen Metallelementen angeordnet. Das Gefüge erinnert an Planetenbahnen oder kosmologische Modelle aus der Antike. Gleichzeitig wirken die einzelnen Elemente menschlich, als sähe man einer humanoiden Versammlung beim Kontemplieren zu. Vielleicht ist es sogar eine Art Familienaufstellung, die man hier beobachten kann. Gleichzeitig weisen meteoritische Kieselsteine und kreisförmige Flug- und Himmelsbahnen auf viel universellere Phänomene, auf Unendlichkeit und Unbegreifbarkeit hin. Als außenstehende:r Beobachter:in meint man hier einen Blick auf die Systeme, die unser Leben prägen, zu erhaschen.
Dass erfolglose Vorstellungsgespräche nicht nur schlechte Seiten haben, zeigt Jonathan Monk mit seiner Installation „Two Piece Reclining Figure – Divided” (2023). Der Ausgangspunkt dieser Serie von Bronzeskulpturen war ein Bewerbungsgespräch, das der Künstler im Alter von 18 Jahren am Chelsea College of Art hatte. Kurzfristig stellte er fest, dass alles, was er vorbereitet hatte, zu groß für das Büro im vierten Stock war, in dem das Gespräch stattfinden sollte. Monk beschloss, sein Material an die Henry-Moore-Skulptur auf dem Vorplatz der Schule zu lehnen und vom Bürofenster aus auf einzelne Stücke zu zeigen. Ziemlich mutig – doch das Gespräch war nicht erfolgreich. Nun hat Monk die Moore-Skulptur, die ihn damals unterstützt hat, neugestaltet: Die digitale 3D-Version hat er in überschaubare Teile zerlegt, von Maschinen formen und schließlich in Bronze gießen lassen. So hat Monk nicht nur sein erfolgloses Interview verarbeitet, sondern kann die Skulptur auch endlich in den vierten Stock transportieren.
Nora Lube: Aufstand der Schaukelpferde, 2024 B180xL240xH88,6cm, Nina Mielcarczyk.
Eine Dekonstruktion wagt auch Nora Lube mit ihrem „Aufstand der Schaukelpferde“ (2024). Die Skulptur thematisiert militärische Denkmäler und verweist auf deren ursprüngliche Machtsymbolik. Dafür nutzt die Künstlerin Beton-Abgüsse eines gefundenen, handgeschnitzten Schaukelpferdes aus Holz, das ausrangiert auf der Straße lag. Eines der Pferde trägt einen Verband – ein Hinweis auf die typische Beinstellung von Reiterfiguren im öffentlichen Raum: Das angewinkelte Bein symbolisiert einen Ritter, der an den Folgen der im Kampf erlittenen Verletzungen gestorben ist. Nur sind hier weder Ritter noch Wunden zu sehen und die Kinderspielzeug-Armee wirkt eher ungefährlich als repräsentativ. Eine gelungene Zerlegung von Herrschaftsdynamik.
João Maria Gusmão + Pedro Paiva: Horse, 2015 170x235x65cm, Sies + Höke.
Auch João Maria Gusmão und Pedro Paiva widmen sich der Physiognomie von Pferden. Das Duo erforscht optische Täuschungen und unsere Wahrnehmung von Bewegung. Ihre Skulptur „Horse“ (2015) steht auf drei Beinen und hat eines angewinkelt. Das sieht seltsam ungelenk und fast menschlich aus – auch, weil sie Füße statt Hufe haben. Die Künstler verweisen auf Eadweard Muybridge, berühmter britischer Fotografer und Wegbereiter des bewegten Bildes. Muybridge hatte 1872 erstmals durch einen aufwändigen Versuchsaufbau die Serienaufnahme eines galoppierenden Pferds angefertigt. So machte er erstmals sichtbar, wie ein Pferd beim Galopp die Beine bewegt – und dass sich die Hinterbeine tatsächlich nach vorne abknicken, nicht nach hinten. Durch die Geschwindigkeit des galoppierenden Pferdes war die Beinhaltung bis dahin für das bloße Auge nicht erkennbar gewesen. „Horse“ erzählt auf humorvolle Weise von bahnbrechenden technischen Neuerungen, von Erkenntnisgewinn und davon, wie wandelbar das menschliche Konzept von Realität ist.
Wirkt „Another city model #2“ (2024) auf Sie eher strukturiert oder unübersichtlich? Pedro Cabrita Reis verweist mit seinen Skulpturen auf imaginäre Städte und gesellschaftliche Strukturen. Während einige eine immanente Ordnung erkennen, spiegelt die Arbeit für andere das urbane Chaos wider. Für seine Objekte recycelt der Künstler Baumaterialien und Architekturfragmente, darunter Stahl, Beton, Glas, Neonlicht oder Holz. Das sensibel konstruierte Werk steht symptomatisch für ein komplexes Verhältnis zur Umwelt, für die Brüche und Peripherien unserer Gesellschaft. Ausgediente Materialien erhalten in den skulpturalen Arbeiten von Pedro Cabrita Reis neue Würde und Bedeutung.