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Kunst als Tor zur Welt – Gespräch mit Dr. Christine Würfel-Stauss

Wir haben mit der Kunstsammlerin Dr. Christine Würfel-Stauss gesprochen – über ihre persönliche Beziehung zur Kunst, was sie zum Sammeln bewegt und welche Begegnungen mit Kunstwerken sie besonders geprägt haben. Sie erzählt, wie sie Veränderungen in der Kunstwelt wahrnimmt – und welche Fragen und Herausforderungen sie im Hinblick auf kulturelle Institutionen beschäftigen.

Was ist für dich der Grund, Kunst zu sammeln? Wie beeinflussen künstlerische Arbeiten deinen Alltag und dein soziales Leben? Und was war das erste Werk, das du gekauft hast?

 

Die Beschäftigung mit Kunst kann das Tor zu einer fantastischen Welt sein, in der man, wenn man sich wirklich darauf einlässt, die bewegendsten Erlebnisse haben kann. Kunst kann aber auch einen klaren und komprimierten Fokus auf Momente des menschlichen Zusammenlebens und unseres aktuellen kulturellen und politischen Umfelds ermöglichen. Sie bietet einen Moment des Innehaltens im Strudel der Anforderungen des Alltags und der Reflexion. Und genau das ist kostbar – jenseits des Marktwerts eines Kunstwerks.

Eine aktive Szene künstlerischen Schaffens, jenseits kommerzieller Auftragsarbeiten, ist überhaupt nur möglich, wenn am Ende der Schaffenskette eine wie auch immer geartete Monetarisierung steht. Und der Erwerb eines Kunstwerks durch private oder institutionelle Sammler ist dafür unentbehrlich. Gleichzeitig kommt damit natürlich dem jeweiligen Sammler auch eine zentrale Selektionsfunktion zu, denn der Ankauf einer Arbeit ist ein wichtiges Glied in der Kette dessen, was kulturell relevant ist und sichtbar bleibt.

Die erste Arbeit, die ich je erworben habe, war ein Werk des mittlerweile verstorbenen Künstlers Turi Simeti, eine weiße Leinwand, auf der lediglich die Schattenwürfe geometrischer Formen sichtbar sind, die auf der Unterseite der Arbeit befestigt sind. Diese Arbeit ist in der Zero-Bewegung der Sechszigerjahre konzeptionell verhaftet, die skulpturalen Elemente des Bildes interagieren mit den jeweiligen Lichtverhältnissen und der Position des Betrachters. Ein dynamischer, sich immer verändernder Prozess, der eine kontemplative Klarheit, eine wohltuende visuelle Stille zulässt.

Gibt es eine Begegnung mit einem Kunstwerk oder einem Künstler oder einer Künstlerin, die dich besonders geprägt hat?

 

Ich bin in der Nähe der Documenta in Nordhessen aufgewachsen, und diese ersten Berührungen mit Kunst dort waren für mein Leben zentral. Ein Tor zu eben einer völlig neuen, faszinierenden Welt, in der absolut alles möglich erschien, zumal zu einer Zeit, in der das persönliche Erleben nicht so durch einen visuellen Überfluss geprägt war wie heute. Dort habe ich zum ersten Mal eine raumfüllende Installation gesehen, in die man eintreten konnte. Ein kopfüber an der Decke montiertes Klassenzimmer der Künstlerin Rebecca Horn, bei dem von jeder Sitzbank Tinte entlang metallener Drähte tropfte, durch den ganzen Raum und dann zu den Fenstern des Gebäudes hinaus. Der Impact, den dieses unerwartete Erlebnis auf mich hatte, wie gewaltig Kunst sein kann, wirkt bis heute fort. Das Haus der Kunst hat im vergangenen Jahr viele zentrale Arbeiten von Rebecca Horn, insbesondere der raumgreifenden, in einer Retrospektive gezeigt. All das zu sehen war für mich genauso ergreifend wie damals. Brillante Arbeiten stehen für sich, brauchen keine Erklärung und behalten ihre Wirkung für immer. Ich bedaure sehr, dass ich Rebecca Horn nie selbst kennengelernt habe.

Credit: Vitali Gelwich

Wie wählst du Werke oder Künstler und Künstlerinnen aus – gibt es ein übergeordnetes Thema, das dich besonders interessiert?

Das Angebot des Kunstmarktes ist thematisch und geographisch so breit gefächert, dass es für private Sammler fast nicht möglich ist, einen wirklich erschöpfenden, fundierten Überblick über die weltweiten Entwicklungen zu haben, egal wie sehr man sich interessiert und engagiert. Zentral für die Arbeiten und Künstler, die mich interessieren sind deshalb zum einen Ausstellungen in institutionellen Einrichtungen und natürlich auch in Galerien. Solche Ausstellung eröffnen dann einen guten Einblick in das jeweilige Beschäftigungsfeld eines Künstlers.

Ich recherchiere immer so umfassend wie möglich, versuche die Arbeiten für mich selbst zu kontextualisieren und mich im Idealfall mit dem Künstler auszutauschen. Ich suche also nicht thematisch beschränkt oder nur nach Künstlern, die ihrer Person nach bestimmte Kriterien erfüllen. So beschränken möchte ich meinen Blick auf die Dinge nicht; ich habe auch gar nicht die Absicht, eine Sammlung zusammenzutragen, die auf einem bestimmten Gebiet inhaltlich erschöpfend ist. Dies ist aus meiner Sicht vorrangig die Aufgabe institutioneller Sammlungen, die einen Bildungs-, Dokumentations- und Bewahrungsauftrag erfüllen.

Aus deiner Perspektive – wie kann eine Kunstmesse dazu beitragen, neue Perspektiven auf zeitgenössische Kunst zu eröffnen?

 

Kunstmessen sind ein feiner Seismograph des Geschehens des Kunstmarktes, eine Mischung aus öffentlicher Bühne, globaler Vernetzung und kommerzieller Motivation. Es geht um Sichtbarkeit und um Wahrnehmung von Kunst.

Das Format einer Messe ermöglicht den Besuchern, in kürzester Zeit einen Überblick über das Angebot des Kunstmarkts zu bekommen. Durch den engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, in dem man Arbeiten verschiedener Galerien aus verschiedensten Gegenden auf Kunstmessen sehen kann, erhält man einen wertvollen Blick auf das, was die Themen und Darstellungsformen zu einem jeweiligen Zeitpunkt sind. Messen sind der einzige Ort, an dem man so viele verschiedene künstlerische Positionen gleichzeitig entdecken kann, und zwar oft ohne den kuratorischen Filter eines bestimmten Themas.

Gute Kunstmessen sind kulturelle Entitäten, vor allem wenn sie zusätzlich ein anspruchsvolles Rahmenprogramm aus Performances, Vorträgen und Diskussionspanels anbieten. Dann eröffnen sie den Besuchern neue Perspektiven auf die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Kunst und auf aktuelle Berührungspunkte zwischen zum Beispiel Kunst, moderner Technologie und geopolitischen Fragestellungen.

Wie erlebst du die Kunstwelt aktuell? Gibt es Entwicklungen, die du besonders spannend oder herausfordernd findest?

 

Ich sehe fast täglich neue faszinierende Arbeiten. Besonders spannend finde ich derzeit zum Einen Arbeiten, die sich mit den aktuellen weltweiten politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen beschäftigen. Die Kunst spiegelt diese Phase des Umbruchs, der globalen Unsicherheit wieder, sie kann jedem einzelnen einen Ort der Reflexion, der persönlichen Bewältigung eröffnen und manchmal auch der Hoffnung.

Ein anderer besonders spannender Themenkomplex für mich ist die rasante technologische Fortentwicklung. Durch künstliche Intelligenz, neue Formen der Robotik und virtuelle Realitäten entwickeln sich ganz neue Kunstformen. Sie machen sichtbar, was wir oft nicht wagen, zu Ende denken, und stellt die interessantes Fragen.

Und dann raumgreifende Arbeiten, die sich verschiedenster Medien bedienen und bei denen man die Perspektive eines externen Beobachters verlässt und zum Protagonisten eines neuen künstlerischen Universums werden kann, das fasziniert mich derzeit ganz besonders.

Credit: Vitali Gelwich

Du bist Teil eines Zukunftsgremiums des Hamburger Bahnhofs in Berlin – vor welchen Herausforderungen stehen staatliche Museen und insgesamt kulturelle Institutionen in Deutschland aktuell?

 

Eine der zentralen Herausforderungen sind die erheblichen finanziellen Kürzungen im Kulturbereich, die insbesondere in Berlin weitreichende Folgen für Museen und kulturelle Einrichtungen haben. So wurde etwa der Museumssonntag, an dem viele Museen regelmäßig kostenlos besucht werden konnten, vor einigen Monaten eingestellt. Das ist eine sehr ernstzunehmende Gefahr für die Möglichkeit kultureller Teilhabe und Bildung, für die kulturelle Vielfalt und insgesamt für den sozialen Zusammenhalt der Stadt. Langfristig wird es entscheidend sein, ein System der Unterstützung zu erschaffen, in dem öffentliche Mittel und privates Engagement sinnvoll ineinandergreifen, damit Museen ihren Bildungs-, Vermittlungs- und Bewahrungsauftrag bestmöglich erfüllen und auch ihre internationale Relevanz behaupten können.

Was würdest du jemandem raten, der mit der Kunstwelt noch nicht sehr vertraut ist, warum sollte man sich mit Kunst beschäftigen?

 

Die Gründe, sich mit Kunst zu beschäftigen, variieren sicher von Person zu Person und je nach Moment. Es gibt aber drei Gründe, die mir auf Anhieb einfallen. Kunst immer eine Einladung des Künstlers in die Welt seiner Gedanken, seiner Lebensumstände und bei historischen Arbeiten seiner Zeit einzutauchen. Durch ein Kunstwerk öffnet sich ein anderer Mensch auf einzigartige Weise, das ist meistens ein besonderes Erlebnis jenseits bloß oberflächlicher Selbstinszenierung.

Und Kunst ist ein ganz eigenes Medium, um mit dem Künstler in einen Dialog zu treten, jenseits der alltäglichen Kommunikationswege, die ansonsten unseren Alltag bestimmen. Sie ist universell, nicht auf eine Währung oder eine bestimmte Sprache angewiesen, aber sie kann von jedem trotzdem verstanden werden.

Im Arbeitsalltag geschieht heute genau wie im Bereich privater Kommunikation viel nur noch virtuell, Kunst aber bringt Menschen tatsächlich physisch zusammen. Man besucht Museen, Ausstellungen, Veranstaltungen, man kann über das Gesehene sprechen, man kann Kunst gemeinsam erleben. Es ist kein geschützter Beruf, jeder kann Kunst machen, es ist eine Ausdrucksform, die jedem offen steht, die nicht an einen bestimmten Bildungskanon gebunden ist. Das eröffnet jedem Einzelnen kreative Ausdrucksformen und das ist wertvoll.

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