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Generation Meinungsstark: Ein Interview mit The Gen Z Art Critic

In der überfüllten Landschaft der Kunstkritik hebt sich Jennifer Braun, auch bekannt als The Gen Z Art Critic, durch erfrischende Offenheit und Zugänglichkeit ab. Sie bricht mit der Tradition der dichten, akademischen Kunstkritik und bringt eine eindeutig generationenbezogene Perspektive auf zeitgenössische Ausstellungen und künstlerische Praktiken ein. Mit einem direkten, dialogischen Ansatz, der das digitale Zeitalter widerspiegelt, schafft The Gen Z Art Critic Inhalte, die die Kluft zwischen der institutionellen Kunstwelt und alltäglichen Betrachter*innen überbrücken. Dieses Interview erkundet die Gründungsphilosophie dieser einzigartigen kritischen Stimme und untersucht, wie die Identität der Generation die künstlerische Wahrnehmung prägt und wie moderne Plattformen die Beziehung zwischen Kritiker*innen, Künstler*innen und Publikum verändert haben. In einer Zeit, in der sich die Kunst zunehmend von breiteren kulturellen Gesprächen isoliert fühlt, bietet The Gen Z Art Critic eine überzeugende Alternative, die Leser*innen in die Diskussion einbezieht, anstatt aus der Ferne zu belehren. 

Was hat dich dazu inspiriert, The Gen Z Art Critic zu gründen und über Kunst zu schreiben?

 

Ursprünglich wollte ich nur eine Art Übersetzung von Artspeak machen. Überall las ich diese nichtssagenden, unnötig kompliziert formulierten Ausstellungstexte, die die Kunst selbst garnicht ernst nehmen. Alles klingt so unpersönlich hinter einem Institutionsnamen versteckt. Ich fand, dass Ehrlichkeit fehlte. Und ein Jahr später hab ich mit jemandem darüber gesprochen und Substack empfohlen bekommen, da kann ich einfach nur schreiben und der Rest läuft darüber. Ein paar Tage später lief ich in Venedig an der Peggy Guggenheim Collection vorbei und sah wie der Zufall es wollte das perfekte Buch im Schaufenster des Museumsshops: How to Write about Contemporary Art von Gilda Williams. Direkt geholt. Beim lesen wurde mir klar, dass über Kunst zu schreiben auch immer eine Wertung bedeutet und es sowas wie eine neutrale Beschreibung garnicht gibt. Im Gegenteil: Mit guter Argumentation lässt sich über alles Kritik schreiben, das nahm mir die Ehrfurcht. Und nun sind wir 144 Ausstellungsbesprechungen später hier!

Meme via Jennifer Braun

Du hast deinen Kanal The Gen Z Art Critic genannt, wie beeinflusst dich deine Zugehörigkeit zur Gen Z? In welchen Gen Z-Zuschreibungen findest du dich wieder – oder auch nicht – und wie leitet das deine Sicht auf Kunst?

 

Gen Z ist humorvoll, nimmt Altehrenwertes nicht so ernst. Es ist wie in diesem einen Spongebob-Meme wo ein Monster ihn anbrüllt und er ganz unbeeindruckt stehen bleibt. Dieser Humor kommt aber nicht unbedingt von Arroganz. Ich denke wir haben viel mit Dadaismus gemeinsam: Wenn Strukturen, die als ewig und sicher galten, nun zerbröckeln, und die Zukunft ungewiss ist, ist Nihilismus und Absurdität eine Art, mit diesem Ausblick umzugehen. Aber Gen Z ist auch eine Generation, die Verbindungen sucht. Wir erben von Millennials wichtiges Wissen und Verständnis. Wir haben Begriffe für Erfahrungen, die Generationen davor nicht hatten. Wir können mit ganz anderem Werkzeug Probleme angehen. Ich bin sehr stolz darauf, dass Gen Z sich nicht einreden lässt, zu jung für was auch immer zu sein – schließlich sind wir mit Phineas und Ferb aufgewachsen. Ich bin jedes mal aufs neue überwältigt, wie unentwegt Gen Z sich für unser aller Zukunft einsetzen. Meine Generation verbindet Absurdismus und Ernsthaftigkeit, beides existiert zusammen. In einem Gewissen Sinne kann Gen Z aber performativ sein. Wenn ich jemanden auf der Straße mit einer extremen Nischen-Ästhetik rumlaufen sehe, denke ich: Wow, das ist Gen Z. Durch Ästhetik und Verhalten wird Gen Z zu einer ganzen Brand. Und im Umkehrschluss frage ich mich dann, ob man nicht auch “nicht Gen Z genug” sein kann. Aber dann erinnere ich mich daran, dass gerade Vielseitigkeit Gen Z ausmacht und nicht, wie gut man reinpasst.

Meine Zugehörigkeit zu Gen Z beeinflusst nicht so sehr worüber ich schreibe, sondern wie ich schreibe – locker, direkt, mit Denglisch und Memes. Ich nehme Kunst nicht durch einen seriösen distanzierten Ton ernst, sondern durchs genaue Hinschauen. Denn man kann autoritär und respektabel klingen und trotzdem inhaltlich nichts aussagen. Ich gehe in die Gegenrichtung: Ich breche gern die vierte Wand, teile auch Gegenargumente zu meinen Ansichten, äußere Zweifel – denn heile Ordnung gibt es hier nicht. Ich schreibe so, wie ich in einem YouTube-Video sprechen würde – gerne mit Outtakes, Versprechern und Ausschweifungen. Thematisch möchte ich vielseitig bleiben und über meinen eigenen Rand hinausschauen. Aber durch Bezüge zu Popkultur und was ich sonst noch kenne bleibt es relatable. Wenn eine Künstlerin Britney Spears malt, warum soll ich in der Analyse dann nicht Britney zitieren können? Ich will auch Leute abholen, wo sie sind – lieber erkläre ich ein Konzept nochmal, statt davon als Allgemeinwissen auszugehen. Ich habe den Anspruch zu schreiben, wie ich mit meinen Freund*innen rede: Ja, wir machen Spaß und lachen. Aber manchmal setzen wir uns auch mit Plastikstühlen in einen Kreis und philosophieren ganz lange und ernsthaft.

Foto: Kirsten Becken

Du tagst in deinen Artikeln zum Beispiel auch die Generation der Künstler*innen, die du besprichst, inwiefern findest du die generationenspezifische Prägung in künstlerischen Arbeiten wieder? Wie zeigt sich das im Kontakt mit den Künstler*innen?

 

Diese Zuordnung, genauso wie der Name meines Blogs, kam von Gilda Williams Buch. Sie rät darin angehenden Kunstkritiker*innen, sich besonders mit gleichaltrigen Künstler*innen zu beschäftigen und jeweils einer Generation drunter und drüber. Ich finde es spannend, wie wir alle Kinder unserer Zeit sind. Individuell können wir uns unsere eigenen Ansichten formen, aber wie diese bedingt sind durch Zeit und Ort, wo wir leben – das lässt sich erst mit zeitlichem Abstand ablesen. Allein die Tatsache, dass westliche Generationen Namen haben wie Silent Generation, Baby Boomer oder Millennials ist doch faszinierend – wie viel Kontext in diesen Bezeichnungen drinsteckt!

Ich merke im Gespräch mit Künstler*innen, dass wir manchmal über die selben Phänomene oder Aspekte in ihren Arbeiten aus unterschiedlichen Bezugspunkten angehen. Dann ist der Generationenunterschied wirklich ein Spaß. Ich rede mit einem Künstler über seine Arbeit und er fragt “Kennst du diese Punk Band aus den 80ern?” – “Nein. Kennst du diesen TikTok-Trend mit KI-Stimmen?” – “Nein.” Und doch hat beides am Ende mit demselben Phänomen zutun.

Wie wichtig ist dir Resonanz? Die klassische Kunstkritik in Zeitschriften oder Feuilletons verbindet man nicht mit direkter Interaktion mit der Leserschaft – außer ggf. zeitverzögert und vereinzelt über Leserbriefe – über Social Media Plattformen ist der Kontakt heute unmittelbarer. Interagierst du viel mit deinen Leser*innen, inspiriert dich der Kontakt mit der Community?

 

Total. Meine Arbeit lebt davon. Ich begreife alles was ich schreibe als Anstoß, selbst nachzudenken und mitzureden. Denn das fehlt doch so in der Kunst heute – dass man miteinander redet anstatt einfach nur etwas zu sagen. Sowohl zu meinen Rezensionen als auch zu meinen Stories auf Instagram kommt immer wieder Feedback, wir diskutieren in den DMs und in E-Mails. Ich bekomme Artikel geschickt, Künstler*innen empfohlen und Ausschreibungen weitergeleitet. Ich schätze diesen Austausch enorm wert. Erst kürzlich haben wir als Community ein Zitat zusammen recherchiert. Und manchmal fragen Leute, ob ich nicht zu einer bestimmten Ausstellung fahren und dazu etwas sagen kann. Dann fühle ich mich wie eine Reporterin, die sich live ins Gemenge begibt, um von den aktuellen Entwicklungen zu berichten. Alles für die Community!

Visual Identity von COPE Studio

Nach welchen Kriterien wählst du die Ausstellungen und Arbeiten aus, die du rezensierst?

 

Es sind – bis auf einige Ausnahmen – zeitgenössische Kunst und thematische Ausstellungen. Wenn eine Galerie eine Überblicksausstellung macht mit allen vertretenen Künstler*innen im Querschnitt – da sehe ich eine Rezension als wenig sinnvoll. Abgesehen davon, ganz einfach: Erstens: Beansprucht die Ausstellung, einen Diskurs anzustoßen? Zweitens: Kann ich hier mit einer Besprechung etwas sinnvolles beitragen? Es geht ja nicht darum, einen finalen Richterspruch zu fällen, sondern Fragen zu stellen. Manchmal gefällt mir eine Ausstellung, aber ich kann nicht artikulieren, warum. Oder ich kann mit etwas gar nichts anfangen und anstatt dass ich einfach unfundiert sage es war blöd, sage ich lieber garnichts. Außerdem ist mir der Anspruch einer Ausstellung wichtig. Eine mäßige Ausstellung in einem ebenso mäßigen Haus werde ich nicht besprechen, wo wäre der Mehrwert? Aber eine schlechte Ausstellung die von sich verspricht, bahnbrechend zu sein? Da sollten besser Belege geliefert werden, sonst liefere ich sie.

Meme via Jennifer Braun

Gibt es eine Ausstellung, die dich besonders beeindruckt oder geprägt hat? Welche Institutionen Ausstellungen oder auch Biennalen haben deiner Meinung nach in den letzten Jahren besonders spannende künstlerische Positionen gezeigt?

 

Wo soll ich da bloß anfangen! Für meine Entwicklung grundlegend war 2010/11 die Ausstellung “Remembering Forward: Malerei der australischen Aborigines seit 1960” im Museum Ludwig. Ich werde nie meine Überwältigung vor Dorothy Napangardis riesigen weiß gepunkteten schwarzen Malerein vergessen. 2023 zeigte mir das M HKA Antwerpen Dorothy Iannone, wie ich sie zuvor noch nie gesehen habe. Und der Kunstverein in Hamburg macht tolle Arbeit: letztes Jahr gab es eine wunderbare Überblicksausstellung zu türkischer Performancekunst und gerade zeigt Prateek Vijan ein provokantes Gedankenexperiment zu dekolonialem Rückraub.

Was besprichst du am liebsten, welches Medium, welchen Stil?

 

Ich mag besonders Kunst, die aus sich selbst heraus funktioniert. Ich will mich einem Werk annähern, weil ich Zeit damit verbringe, es mir genau ansehe und nachdenke. Nicht weil ich die dafür notwendige Theorie eines argentinischen Schriftstellers gelesen habe, die nur in einem Archiv in Kopenhagen zugänglich ist, und ein Künstler entschieden hat, dass ich nur damit seine Arbeit entschlüsseln kann. Ich finde Kunst wird langweilig, wenn ich erst mit Informationen von außerhalb etwas damit anfangen kann. Ich will dass die Geschichte, die Idee in der Arbeit selbst drin ist. Dann gibt es aber Ausnahmen wie Felix Gonzalez-Torres “Untitled (Ross)” (1991): Wie könnte ich denn diese berührende Arbeit ohne das Vorwissen verstehen, dass es sich um eine Hommage an seinen an AIDS verstorbenen Geliebten handelt?

Mir ist aufgefallen, dass mich vor allem politische Kunst anzieht. Kunst, die nicht nur ästhetisch anspricht, sondern auch Fragen über das Kunstwerk selbst hinaus aufwirft. Ich mag auch Kunst, die auf den ersten Blick etwas anderes ist, als man glaubt und dann einen Plottwist hat – Wie ein guter Thriller.

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